KLARTEXTE: Hurra, die Welt geht unter

Zugegeben, das Weltuntergangsszenario ist nicht das Neuste. Schon in der Bibel gab es die Apokalyptischen Reiter, die nordische Mythologie hat ihr Ragnarök und von den unzähligen Sekten, die in Voraussicht auf einen Weltuntergang Massensuizid begehen, will ich gar nicht erst anfangen. Aber es muss doch einen Grund geben, warum die crossmediale Präsenz einfach nicht abnimmt. Warum das nächste „The Walking Dead“ Spin-Off angekündigt wird, nachdem es schon als Spiel zwei Staffeln bei Telltale bekommen hat, mit „The Walking Dead: Michonne“ ebenfalls eine weitere Minispielserie erhielt und seit sechs Jahren im Fernsehen läuft. Gerade in der Spielebranche boomt das Thema mehr als je zuvor.

Sei es Naughty Dogs Survival-Deckungsshooter „The Last of Us“, in dem wir uns mit Pilz-infizierten Clickern kloppen, das Wühlen durch verstrahlte Vaults nach der atomaren Katastrophe in der Fallout-Reihe oder Ubisofts „The Division“, wo wir in einem riesigen MMO-Shooter im verlassenen New York, das von einer Virus-Katastrophe so gut wie ausgelöscht wurde, über die Maps rennen.

Doch diese Apokalypse-Feeling wird nicht nur in Spielen perfekt rübergebracht, sondern auch in sämtlichen anderen Medien.

Weltuntergang
Annette Holba, die an der Plymouth State University Kommunikations- und Medienwissenschaften unterrichtet, ist der festen Überzeugung, dass der leichtere Zugang zu sämtlichen Medien daran Schuld ist, dass das Thema einfach nicht aus der Mode kommt: “Ganz früher konnten die Menschen diese Geschichten nur mündlich weitergeben” sagt Holba. “Heute stehen ihnen unendlich viele Kanäle zur Verfügung, und die nutzen sie.”

Zwischen Weltuntergang und Zombieapokalypse

Denn auch in Büchern und auf der Mattscheibe ist das Szenario nicht wegzudenken.
In dem Buch “Das Licht der letzten Tage” lässt Autorin Emily St. John Mandel das Zombie-Szenario völlig weg und legt den Fokus ausschließlich auf das zwischenmenschliche Handeln in schwierigen Zeiten. Wie verschiebt sich die Moral? Was passiert mit Ethik? Wie gehen Menschen miteinander um, wenn sie morgen schon tot sein könnten? Sie greift unfassbar gut dieses grenzwertige und moralisch verwerfliche Verhalten auf und setzt mit dem Menschen selbst das wahrscheinlich größte Monster in der Postapokalypse in die Welt.

In wenigen Szenarien ist es so spannend, wie sich Menschen in solchen Ausnahmesituationen eigentlich verhalten. Denn was haben wir in „The Last Of Us“ gelernt? Auf eine ganz brutale Art und Weise macht das Spiel einem klar, wer die eigentlichen Monster sind. Eine von Angst und Hass geprägte Welt, in der für Vertrauen kein Platz mehr ist. Hektische, angstgesteuerte Handlungen aus dem Affekt, die die Protagonisten schmerzhaft am eigenen Leib zu spüren bekommen. Der Spruch „All Monsters are human“ wird hier seiner Bedeutung wirklich gerecht.

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Auch “The Walking Dead” flackert seit sechs Jahren erfolgreich über dem Bildschirm und erfreut sich großer Beliebtheit. Zwischen Zombieschnätzelei zeigt die Serie in Perfektion, wie weit Menschen gehen würden, wenn es um ihr eigenes Leben geht. Es wird fremdgegangen, verwahrlost, hintergangen und betrogen. Wie das in der Menschheit halt so ist.

Generell mögen es Konsumenten, wenn sich Abgründe der Menschlichkeit auftun, Platz für besondere Helden ist und jeder auf seine Grundfähigkeiten und Instinkte reduziert wird und aus den Ressourcen der Evolution schöpfen muss. Survival of the Fittest reloaded, sozusagen. Satt gefressen vom Luxus brauchen wir mal wieder neue Abenteuer, in deren glänzendem Schein die schiere Lebensgefahr einfach missachtet wird. Kopfüber ins Verderben sozusagen.

Weltuntergang ist in und wird es auch noch für längere Zeit bleiben.

Dieses Pulsrasen, wenn einem ein Zombie folgt, man den Atem der gegnerischen Partei im Nacken spürt, oder wenn einfach kein Essen mehr im Rucksack ist und das nächste lootbare Haus Kilometer entfernt und besetzt ist. Wenige Szenarien fühlen sich so greifbar, so echt und so nah an wie die Postapokalypse. Doch warum das Ganze so beliebt ist, scheint wirklich leichter zu begründen sein, als man im ersten Moment denkt.

WeltuntergangSei es das Entfliehen aus der alltäglichen Monotonie, ohne Regeln und Grenzen zu leben oder die vorgegaukelte komplette und unbegrenzte Freiheit, die mit dem irrationalen Gedanken einhergeht, dass ein Leben ohne gesellschaftliche Wertvorstellungen oder ein Wirtschaftssystem wirklich das bessere ist. 
Die aktuellen Probleme würden ihre Bedeutung verlieren, was ein weiteres Zeichen für die blanke Überforderung der momentanen Generation ist. Denn grundsätzlich lässt sich sagen, dass in erster Linie jüngere Zuschauer bis höchstens 35 die Zielgruppe von ebendiesen Spielen, Serien und anderen Medien sind. Genau diese Generation lebt in dieser Zeit, die es einem ermöglicht, alles zu machen, was man möchte, wenn man denn den nötigen Studienabschluss, die nötigen unbezahlten Praxiserfahrungen und Jahre in der Branche auf dem Lebenslauf stehen hat. Dabei sollte man jedoch am besten unter 21 sein und für möglichst wenig Geld bereit sein zu arbeiten. Vielleicht ist das ganze Thema so ansprechend für diese Generation X oder Y, weil dieser dringende Wunsch des Ablegens von Qualifikationen und Talenten zur Zukunftssicherung überwiegt.

In einer Postapokalypse, angenommen man überlebt die Apokalypse an sich, würde sich schließlich niemand mehr für Master, Diplome oder Talente interessieren, solange sich diese nicht auf überlebenswichtige Fähigkeiten beziehen wie jagen, kochen, Nahkampf oder Fernkampf, vorzugsweise mit Schrotflinten oder, wer es etwas naturbezogener mag, mit Pfeil und Bogen. Außerdem kann selbst der Depp von nebenan der Überheld der Geschichte werden, ohne Superkräfte, ohne starke Waffen, ohne irgendeinen Skill.

Das Schöne an dem Genre mag auch der Abstand zum klassischen Horror sein. Kleine Elemente wie Jumpscares finden zwar noch ihren Platz, aber die fehlende Distanz zum eigenen Leben, also keine Aliens, Monster und Drachen, machen so diese Fantasie auch für diejenigen zugänglich, die eher nicht so talentiert darin sind, in fremde Fantasiewelten abzutauchen.

Auch die Liebe findet in der Umgebung ihren Platz, was gibt es schöneres als die letzten Momente im Zusammenbruch der Welt gemeinsam zu erleben? Schon der Rockstah hat dafür in “Brennende Stadt (Weltuntergang Pt.1)” wundervolle Worte gefunden: „Die Flammen schlagen weiter aus der Stadt in das Land, halt die Kippe aus dem Fenster und sie zündet sich an. Fahren einmal ohne Tanken über China nach Vegas, über jeden Kontinent, wir genießen die Leere.“

Dieser zum Weltuntergang Artikel ist zuerst bei vice.com erschienen.

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