Nachtmusik
Es ist 1:48 Uhr, als ich das Wort “Nachtmusik” und alles drum herum anfange zu schreiben.
Ich komme grade von einer Party, mein Kopf brummt, das Fiepen in meinem Ohr nervt mich furchtbar – ich hasse Partys. Als ich den Stempel von der Hand abwasche und meine Zähne putze, sind meine Oberschenkel noch eiskalt vom Fahradfahren, es ist schließlich erst März.
Als ich ins Bett gehen will, klappe ich den Laptop auf und mache Musik an, noch ein paar Minuten.
Intuitiv wähle ich das Album “Sometimes” von City and Colour und denke dann darüber nach, wieso es Musik gibt, die perfekt für Nächte ist. Für Nächte, wie diese.
Und dann muss ich das hier alles tippen, weil wenn ich eins gelernt habe, dann, dass man sich nichts für Morgen aufheben soll, was unbedingt raus will. Immer direkt schreiben, was ihr loswerden wollt. Nachtschicht für Worte, die unbedingt geschrieben werden wollen.
Als ich so das Album höre, kommen Erinnerungen hoch. Wie das halt mit der Musik so ist, sie wirft einen zurück in andere Zeiten. Ich weiß tatsächlich noch ganz genau, weshalb ich dieses Album so mit Nächten verbinde.
Vor ein paar Jahren feierte eine gute Freundin ihren sechszehnten Geburtstag. Mittlerweile ist der Kontakt ausgebrannt und man grüßt sich höchstens auf der Straße, doch wir waren damals sehr gut befreundet. Wir saßen bei ihr im Garten, es war spät und wir tranken Mixbier. Wenig, wir haben nie viel getrunken, doch der Grapefruit-Geschmack hat sich in meine Geschmacksnerven gebrannt. Es war August und die Nacht hätte nicht klarer sein können. Irgendwann machte ich “Sometimes” an und wir saßen einfach da.
And no one was moving. Vier Mädels, in einer sternenklaren Nacht, reden und schweigen. Stundenlang, dazu läuft City and Colour, es ist frisch, aber nicht kalt. Es gibt so Nächte, die vergisst man nicht mehr – diese gehört dazu.
Jahre später saß ich der Nachbarstadt, mitten in der Nacht, holte den iPod von meiner Mama ab und wollte nach Hause fahren. Sie brauchte ihn nicht mehr, da habe ich ihn kurzerhand einfach adoptiert. Doch auf dem iPod befand sich einiges von meiner alten Musik. Also saß ich auf dem Fahrrad, schloß den iPod an, scrollte durch die Interpreten, fand City and Colour und fuhr durch die verdammt kalte Nacht damals. Zu der Zeit ging es mir unfassbar schlecht und alles wurde in ganz kurzer Zeit furchtbar anders, doch ich hatte was zum festhalten, etwas das nicht anders wurde. Zu “Day Old Hate” fuhr ich durch die stockdunklen Wälder und dachte über einiges nach.
Nachtmusik ist zum nachdenken da.
Vor ganz vielen Jahren, hatte es ordentlich draußen geschneit. Ich liebe Schnee, schon immer. Ich ging in einer übergroßen Winterjacke meines Bruders raus in den Schnee, wie das halt so ist, wenn man größere Geschwister hat. Spielte stundenlang auf der Straße und kletterte den winzigen Hang runter, der den Bürgersteig vom Feld gegenüber meines Hauses trennte in ebendieses Feld und legte mich an den Fuß des Hangs. Heute ist dort ein Zaun, ich kann mich nicht mehr dort hinlegen.
Ich hatte eine Buddelhose und eine dicke Jacke an, mir konnte nichts passieren. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, lag ich da in der völligen Stille, es war vielleicht acht Uhr. Ich schaute mir den grauen Himmel über den Wäldern an und stellte mir zum hundersten Mal die Frage, wie der Himmel dieses perfekte grau erreichen kann, was er nur erreicht, wenn es kurz davor ist zu schneien. Alle anderen Grautöne sind anders. Das ist einfach nicht das selbe. Das Schnee-Grau ist anders, schöner, weicher.
Ich lag da und schaute einfach nur den Flocken beim Fallen zu und es war wunderschön. Doch irgendwann hörte ich die Rufe. “Mama, Caro liegt im Schnee!”, mein Bruder stand am Fenster, ich musste also reinkommen und mir anhören, dass meine Eltern mich gesucht haben. Ich lag doch nur da und war glücklich.
Im Nachhinein wünschte ich, dass ich das Album “Total Life Forever” von Foals gehabt hätte. Besonders “Spanish Sahara”. Lieder, die die Zeit zum stehenbleiben zwingen.
Die Nacht ist melancholisch und verlangt diese besondere Musik, die still genug ist um nicht aufzuwühlen, aber trotzdem laut genug ist um die erdrückende Stille von Nächten zu durchbrechen – Nachtmusik.
“Message To Bears” schafft genau das. Wunderschöne Lieder, mit wenig, aber doch ganz viel. Musik zum aus dem Fenster starren, sei es draußen sonnenhell oder stockdunkel.
Jetzt ist es übrigens 22:56 Uhr am nächsten Tag und ich bin fertig. Fertig mit editieren, schreiben und schön machen. Es ist wieder Nacht, höre Musik und frage mich, ob sich das jemals ändern wird.