Weltuntergang hier, Weltuntergang dort. So langsam haben wir alle Szenarien durch. Und so langsam mag ich nicht mehr. Was vor einigen Jahren als Teeny-Schnulzen-Vorliebe begann, wurde irgendwann ein recht hoher Anspruch an postapokalyptische Inhalte. Doch wir bekommen 08/15 Zombie-Szenarien, soziale Experimente, deren Auflösungen schmerzlich halbherzig sind und “Ups, uns ist die Seuche ausgebrochen”-Geschichten. Was Neues im Angesicht dieser homogenen Masse an “Kennen wir schon” zu finden, ist eine wahre Herausforderung. Und das Neue lieferte Hugh Howey mit seiner Silo Trilogie.
Nachdem ich den ersten Teil der Silo Trilogie von Hugh Howey gelesen – pardon – verschluckt habe, wurde mir bewusst, dass es wirklich noch gute Autoren gibt. Die Stille hier ist kein Wunder, Bücher befriedigen mich nicht mehr richtig. Alles ist gleich und eintönig. Doch Hugh Howey hat es geschafft mich aus diesem kleinen Loch herauszuholen.
Silo, Level und Exit drehen sich um das Leben in Silos, um das Leben in Silos, hunderte Stockwerke hohen Bauten, die unter die Erde gesetzt wurden. Die Welt außerhalb ist toxisch, hoch gefährlich. Der Aufbau des Silos ist ein Abbild der darin herrschenden Hackordnung und der Klassengewalt. Ganz unten leben die Mechaniker, diese arbeiten dafür, dass die Elektrik funktioniert. Darüber wohnen die Ärmeren, die niederen Berufen nachgehen. Einige Etagen höher leben die Bauern, denn auch unter der Erde ist durch modernste Technik Landwirtschaft möglich. Und darauf folgt die Mittelschicht, die Informatik, die Oberschicht und der Sheriff mit seinem kleinen Knast und dann die Tür nach draußen. Denn auch die gibt es. Doch wo viele Menschen auf einem Fleck leben und voneinander abhängig sind, dauert es nicht lange, bis sich Rebellionen und Revolutionen ankündigen. Das Silo funktioniert komplett von selbst. Jeder hat seinen Job und seine Aufgabe. Wer Kinder bekommen darf, wird gelost, denn die Bevölkerung muss im Gleichgewicht gehalten werden) und wer sich in irgendeiner Weise gegen dieses sich selbst antreibende Gesellschaftskonstrukt auflehnt, wird bestraft. Denn Neugier ist Auflehnung, Auflehnung bedeutet Funken in dem trockenen Nest der Menschen und Funken bedeuten Feuer. Wer also zu sehr nachfragt, Theorien spinnt, wieso das alles so ist, muss zur Reinigung raus in die Außenwelt. Dort werden die Kameras, die nach außen filmen, gereinigt, dann erkennt der Mensch seinen Fehler und gibt sich dem Tod hin. Klingt kontextlos, wird aber im ersten Buch komplett erklärt.
Während wir als Leser, Spieler oder Zuschauer sonst gegen Zombies kämpfen, konzentriert sich Silo auf einen viel spannenderen Aspekt als Monster, Mutanten oder Viren – den Menschen selbst. Menschen sind von Natur aus neugierig und insbesondere wenn sie in Not sind – zum Beispiel nicht ausreichend Geld verdienen oder sie Fehler im System erkennen – werden sie am gefährlichsten.
Diesem Problem steht Juliette nun gegenüber, die aus der Mechanik stammt und neuer Sheriff des Silos wird. In den Aufzeichnungen des alten Sheriffs findet sie auffällige Informationen die Reinigung betreffend. Seine Frau wurde rausgeschickt, weil sie das System angezweifelt hat und zu viel wissen wollte. Juliette hat nichts zu verlieren, sie stammt aus den ärmlichsten Verhältnissen, deshalb nimmt sie den Job an und nutzt genau das, um Informationen zu bekommen. Sie trifft den Informatiker Luke, mit dem sie sich plötzlich über Dinge unterhält, die sie niemals auf dem Schirm hatte. Luke wird dann die Aufgabe übertragen, die “Weisung” zu lesen und dieses Wissen weiter zu tragen. Doch auch er kommt an den Punkt, an dem er anfängt, Dinge zu hinterfragen. Beiden wird bewusst: in einem System, in dem Hinterfragen mit dem Tod bestraft wird, ist es nicht leicht, ein pazifistischer und rechtschaffener Mensch zu sein.
Silo, Level und Exit sind aus verschiedenen Perspektiven geschrieben. Der Sprung tut nach dem ersten Teil zwar etwas weh, doch es fühlte sich nach einiger Zeit mehr als richtig an. Die Geschichten um den Silo sind eine gesunde Mischung aus wissenschaftlichen Fakten, Machtspielchen in einem sehr engen Gefüge und emotional psychischen Ängsten gepaart mit dem unstillbaren Verlangen nach Freiheit. Spannungskurve und Pacing zeigen, wie aus einem Gedanken ein Zustand werden kann, der die Protagonisten das eigene Sein hinterfragen und anzweifeln lässt.
Howey macht sich ein Stilmittel zu Nutze, das bereits in anderen Endzeitszenarien gut funktioniert hat. In dem Spiel The Last of Us zum Beispiel legen wir uns mit Pilzinfizierten an, Jumpscares und Kampfsequenzen inklusive. Der richtige Terror entfaltet sich für mich jedoch nach etwa einem viertel des Spiels, als wir ein recht reines Gebiet finden, in dem keine Infizierten sind, ausschließlich andere Menschen. Doch diese Menschen verstehen keinen Spaß. Augenblicklich fangen sie an, auf uns zu schießen und uns zu beleidigen. Was erst mal recht unspektakulär klingt, hat mich in Albträumen wochenlang verfolgt. Den Terror, den Menschen verbal und mit ihren Taten erzeugen können, geht viel tiefer, ist intrinsisch gerichteter Druck, der einem jegliches Gefühl der Sicherheit nimmt. Und vielleicht ist es gar nicht das Erschrecken, der Horror von einer extrinsischen Kraft, einem Monster oder einem Virus, vielleicht ist es schlichtweg das Ausradieren jeglicher Sicherheitskonzepte. Sich auf niemanden mehr verlassen zu können. Feststellen, dass diejenigen, die einen beschützen sollten lügen und vor allen Dingen dich tot sehen wollen. Und in Zeiten, in denen jeder sich selbst der Nächste ist, gibt es keinen schlimmeren Terror, als das Kappen aller Sicherheitsnetze. Howey nutzt das nun aus, stellt die Charaktere vor die Wahl das Richtige zu tun, sich selbst zu opfern oder die Last eines ganzen Ökosystems, des ganzen Silos, gegen sich zu spüren. Wo niemand mit der Wimper zucken würde, ihnen das Leben zu nehmen. Auch in Die Tribute von Panem funktionierte das schon gut. Menschlicher Horror ist das, wovon die Postapokalypse lebt. Wer ausschließlich auf Viren und Aliens setzt, macht es sich zu leicht.
Die Angst des Ausschlusses und der Ungewissheit treibt die Spannung und die Geschichte voran, ohne dabei ins Absurde abzurutschen. Ein interessanter Anhaltspunkt sind auch die Geschlechterrollen. Denn jeder Job wird zu gleichen Teilen von Frauen ausgeübt, zumindest größtenteils. So ist es an keiner Stelle ein Problem, dass Juliette eine Mechanikerin ist, sie gilt sogar als eine der Besten. Auch, dass sie nun das Silo als Sheriff leiten soll, scheint kein Problem im Bezug auf ihr Geschlecht zu sein. Dass Sexismus trotz des sehr engen Gesellschaftsnetzes nicht immer Standard sein muss, ist erfrischend und trotzdem erschreckend ungewohnt.
Wie weit Verzweiflung Menschen treiben kann, wie viel sie bereit sind zu opfern, wenn sie ihre Sicherheit gefährdet sehen, all das spinnt Howey so weit wie möglich. Die Charaktere sind vielseitig, anspruchsvoll und eigenartig. Haben ihre Stärken und ihre Schwächen, bewegen sich jedoch jenseits aller Klischees. Juliette ist keine Heldin. Es gibt keine Heldin und keinen Held in dieser Geschichte. Es gibt ja nicht mal ein Ziel. Es ist die Ungewissheit die treibt. Warum gibt es den Silo eigentlich? Und was ist wirklich da draußen? Wie ist das alles passiert und warum werden die Menschen mit allen Mitteln manipuliert, um im Silo zu bleiben? Wenn ein Glied in einer perfekt laufenden Maschine nicht mehr richtig funktioniert, droht das ganze Konstrukt einzubrechen. Genau das erleben wir hier hautnah. Mit einem fordernden, aber angenehmen Schreibstil. Mit guten Spannungskurven, die nicht in Reinform des künstlichen Cliffhangers Kapitel beenden, sondern den Leser stets seiner eigenen Neugierde überlassen. Die Geschichte ruht sich nicht auf Dramatik aus. Dramatisch wird alles erst in Richtung Ende. Ich will mehr wissen. Und das peitscht mich durch die Seiten. Wenn ich dann noch mit einem wirklich spannenden Konzept hinter der Geschichte belohnt werde, die Auflösung und der Verlauf an keiner Stelle einen nicht nachvollziehbaren Bruch haben, braucht es eigentlich fast nichts mehr um ein großartiges Werk zu sein.
Vergesst endlich die Epidemien, die Pilzinfektionen, vergesst die Monster aus dem All. Denkt an das, was direkt vor euch steht. Denkt an den Menschen, Manipulation, emotionalen Missbrauch, geschürte Angst und Sicherheitsentzug. All das in einem verrückten Szenario, welches aus Angst und Not gebaut wurde. Mit wissenschaftlich korrekten Fakten und einer frischen, spannenden Idee. Denkt an das Bedürfnis der Freiheit und die Neugierde, wenn ihr etwas herausfindet, das so nicht sein sollte. Wenn ihr herausfindet, dass alles um euch herum vielleicht eine Lüge ist. Nachvollziehbarer wird ein Endzeitszenario erst, wenn es mit Ängsten spielt, die der Leser schon mal am eigenen Leib erfahren hat. Silo, Level und Exit zeigen, dass es noch anspruchsvolle postapokalyptische Literatur gibt, die nicht überdramatisiert, den Charakteren alles abverlangt, ohne Pilzsporen oder Aliens vorzuschieben. In der die größte Gefahr die Auflehnung und die Rebellion ist. Weil jedes Glied funktionieren muss, wenn man sich mit Tausenden anderen ein Gebäude teilt, ohne dessen Hilfe man im besten Fall nur noch ein paar Tage Vorräte hat, und im schlechtesten Fall direkt tot ist.
Danke an Piper, die mir alle drei Bücher als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben.
Erschienen am: | 2014 – 2016 |
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Autor: | Hugh Howey |
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