Die Welt, in der Frauen heute leben, ist trotz #MeToo und immer größer werdenden öffentlichen Protesten gegen die Geschlechterungleichheit noch immer massiv von der Gender Pay Gap, der Sehnsucht nach dem perfekten Bikinibody und *Mansplaining *definiert. »The future Is female! Was Frauen über Feminismus denken« ist *das *Buch für Mädchen und Frauen, die sich mit diesem ungenießbaren Cocktail nicht länger zufrieden geben wollen, eine einzigartige und vielstimmige Textsammlung. Frauen von der Hollywood-Ikone bis zur Teenie-Aktivistin erzählen darin ihre ganz persönliche Geschichte; alle Geschichten zusammengenommen entwickeln eine Kraft, die die alte Welt aus den Angeln heben kann und dem F-Wort einen ganz neuen Glanz verleiht. Der Feminismus von heute definiert sich über das Dafür und Miteinander und nicht ewig gestrig über das Dagegen, er ist eine unwiderstehliche Notwendigkeit – und jede Einzelne von uns gehört dazu!
The Future Is Female ist eine Sammlung von wirklich guten Texten zum Thema Feminismus, Sexismus, Rassismus und Genderstudies. Eine schöne Idee, da es bei solch einer Literatur schwer ist, eine Anfang zu finden. Da ist eine Sammlung ein toller Anfang. Keine Ahnung vom Thema Feminismus? Dann weißt du jetzt genau, wo du starten musst. Nämlich bei diesem Buch.
Viele verschiedene Geschichten von verschiedensten Frauen über verschiedenste Themen. Die Stärke des Buches ist nicht seine Meinung, sondern seine Diversität. Seien es Women of Color, Missbrauchsopfer oder ältere Frauen, die ihr Leben lang Feministinnen waren, ohne es gemerkt zu haben. Eine chronologische Zeitlinie der Entwicklung des Feminismus und viele kleine Notizen. Das Buch ist umfangreich und bietet jedem Thema eine Bühne. Nicht alle Texte sind zugegebenermaßen mein Ding, Manchem stimme ich auch nicht zu, doch das kann bei Essays durchaus passieren. Es geht auch gar nicht darum die perfekte Lösung, Erklärung oder Darstellung zu verschiedenen Themen zu bieten. Es geht darum, verschiedene Blickwinkel und Perspektiven aufzuzeigen. Perspektiven, die man von seinem Standort aus gar nicht sehen kann. Ich weiß nicht, wie sich eine Women of Color fühlt und ich werde es auch nie wissen können. Deshalb brauche ich Texte, Erfahrungsberichte und Zeit. Doch die Zeit ist es mir wert, denn sie fördert unser Zusammensein.
The Future Is Female schafft es auf sehr elegante Art und Weise neutral zu bleiben. Meine Befürchtungen, dass es abschreckend für Männer seien könnte, hat sich nicht bestätigt. Ich selbst erlebe täglich, wie schnell man Fremden mit dem Thema Feminismus auf die Füße treten kann. Meiner Erfahrung nach, fühlen sich Männer schnell angegriffen und packen Begriffe wie “Femme-Nazi” aus, unterstellen mir den Auslöschungswunsch der männlichen Rasse. Das ist aber vollkommener Quatsch. Doch gerade in Zeiten von Social Media, wo alles schnell und kurz in die ganze Welt geschickt werden kann, entstehen schnell Missverständnisse, die dem Thema nicht gerade schmeicheln. Denn beim Feminismus geht es nicht um eine priorisierte Stellung für Frauen, sondern um Gleichheit. Für alle. Für jeden. Wer sich das bewusst macht, merkt, dass wir noch viel zu tun haben. Ein großes Problem machen Begriffe. Häufig erwähnen Männer mir gegenüber, dass sie das Konzept wichtig finden und danach leben, aber Probleme mit dem Wort “Feminismus” haben, weil es gleichzeitig eine Herabsetzung des Mannes bedeutet. Ich verstehe das Problem, sehe das jedoch anders. Eine Autorin hat im Buch jedoch sehr wichtige und gute Worte dafür gefunden, weshalb ich an dieser Stelle einfach mal darauf verweise das Buch zu lesen.
Fehlerfrei ist das Buch jedoch leider nicht. Das hat in erster Linie weniger mit den Texten zu tun, sondern mit einem, meiner Meinung nach, schwerwiegenden Marketingfehler. Das Buch trägt im Deutschen den Titel “The Future Is Female”. Das passt nicht mit meiner Aussage zusammen, dass das Buch sehr neutral gehalten ist – richtig. Im Buch selbst erklärt eine Autorin warum die Zukunft nicht weiblich ist, sondern intersektional. Also für jeden, mit jedem. Die Zukunft gehört nicht mir, nur weil ich eine Vagina habe und “weiblich” auf meinem Pass steht. Der Spruch fand sich in rasender Schnelle auf T-Shirts bekannter und billigen Klamottenketten wieder. Wurde als Sticker verkauft, doch schaffte damit den Nährboden für eins der größten Missverständnisse im Feminismus: Feminismus beschäftigt sich mit der total Macht der Frauen und der Unterwerfung der Männer. Klingt verrückt? Ist es auch, doch wenn meine Oma in einem T-Shirt mit der Aufschrift “The Future is Old” vor mir steht, werde ich auch perplex, würde die Diskussion starten. Ähnlichen Effekt hat der Buchtitel, denn er vertritt an keiner Stelle die Message des Buches. In keinem der Texte (korrigiert mich) fällt der Satz, dass die Zukunft weiblich ist. Die Zukunft ist nicht weiblich. Wenn ich in einigen Jahren einen Sohn bekommen sollte, möchte ich nicht, dass er in einer weiblichen Zukunft lebt, ich möchte, dass er in einer intersektionalen Zukunft lebt, in der jeder gleichberechtigt ist. Eine Zukunft die männlich, weiblich, non binary, alt, jung, schwarz, weiß und alles dazwischen ist. Denn nur das bringt uns weiter.
Die fehlleitende Nachricht auf dem Buchcover streut damit Salz in die Wunde, die täglich auf Social Media Kanälen aufgerissen wird und diese Wunde blutet, obwohl wir hart daran arbeiten, sie heilen zu lassen. Ein Buch auf einem Tisch in der Buchhandlung mit dieser Nachricht lädt keine Männer ein, das Buch zu lesen. Doch das Buch sollte unbedingt von Männern gelesen werden! Ein Titel wie dieser unterstreicht den Ausschluss eines Geschlechts aus der Zukunft. Und egal ob da “weiblich”, “männlich” oder etwas anderes auf dem Cover steht, es wird immer jemand ausgeschlossen.
Im Original heißt das Buch “Feminists Don’t Wear Pink (and other lies)”, welches als Titel bereits ein selbstreflektiertes Buch verspricht, das es als Aufgabe sieht aufzuräumen, Klischees endlich zu verbannen und aus unserem Miteinander verschwinden zu lassen. Ich finde es sehr schade, dass dieser gut gemeinte Gedanke leider nach hinten losgegangen ist.
Ein weiteres Problem, über das ich lange nachgedacht habe, ist die Wahl der Coverfarbe. Gefestigt wurde dieser flüchtige Gedanke durch ein sehr wichtiges Kapitel in dem Buch. Scarlett Curtis stellt uns das Konzept des Baker-Miller-Pinks vor. Ein Pinkton, welcher nachgewiesener Maßen eine beruhigende und dämpfende Wirkung auf Menschen hat. Es wurde zum Beispiel in Strafanstalten als Wandfarbe genutzt, worauf die Gefangenen sehr positiv reagiert haben. Aggressive Reaktionen minimierten sich und die Personen im Einzelhaft wurden nachweislich ruhiger. Jetzt könnte man meinen, dass dieses Pink eine fantastische Farbe für das Cover wäre – ist es auch. In der originalen Version ziert das Baker-Miller-Pink das Cover, jedoch nicht komplett, nur zum Teil. Im Deutschen ist das Cover Textmarkerpink, es knallt richtig. Das Baker-Miller-Pink ist in der Innenseite des Umschlags zu sehen. Damit wirkt das Buch sehr provokant und aggressiv. Es schreit förmlich “ICH BIN FÜR FRAUEN”. Es mag sehr persönlich gefärbt sein, aber ich kann mit der Farbe pink in jeglichen Ausführungen nichts anfangen. Ich war immer das Kind, dass angefangen hat zu schreien, wenn Mama mir ein pinkes Shirt angezogen hat. Bei mir war immer alles blau und ist es heute noch. Würde ich mich nicht für Feminismus aussprechen, wäre das Buch in der Buchhandlung für mich sofort uninteressant. Durch die extrem provokante Art in der das Buch das Auge anspringt, wirkt es nicht Interesse erweckend, sondern abschreckend, auf eine sehr subtile Art und Weise. Es werden Werbeklischees erfüllt, die ich seit einigen Jahren in der Buchbranche beobachte, die, meiner Meinung nach, nicht nötig sind. Das Buch legt durch seine Stilisierung jeglichen Anspruch an Intellektualität ab, obwohl es durchaus ein gesellschaftlich wichtiges und intellektuelles Werk ist.
Ich hätte mir ein wenig mehr Überlegung gewünscht. Nicht nur über den Gedanken:”Wie bekommen wir möglichst schnell Aufmerksamkeit und ordnen uns in Instagramfeeds und die Mädchen mit ihren “Feminist”-Shirts ein?”, sondern darüber, wie eine wichtige und absolut neutrale Sammlung an literarisch anspruchsvollen Essays auch von Männern gekauft werden kann. Der Versuch Nachdruck zu erzeugen verläuft sich in einer kindlichen Dachzeile, mit einer Font direkt aus dem Kinder- und Jugendbuchbereich. Es hätte nicht sein müssen. Und es enttäuscht mich, da ich die Entscheidung einfach nicht nachvollziehen kann.
Da ich das aber nicht auf mir sitzen lassen wollte, habe ich einfach mal beim Verlag angefragt, wie es überhaupt zu diesen Entscheidungen kommt und wieso diese Stilmittel gewählt worden sind. Ich habe eine sehr nette Antwort bekommen, die meine Meinung zwar nicht geändert hat, aber eine andere Perspektive auf die Entscheidung gibt.
Frau Cinque antwortete mir: “In ganz vielen Punkten kann ich Ihnen natürlich recht geben. Wir haben selbst hier im Verlag sehr lange überlegt, ob wir den Originaltitel behalten wollen oder für den deutschsprachigen Markt einen neuen Titel suchen. Und auch wenn ich den Originaltitel persönlich sehr, sehr gut finde, bin ich trotzdem auch mit unserer Teamentscheidung für „The future is female!“ immer noch vollkommen einverstanden. Auch wenn ich Ihnen im Kern natürlich recht gebe, die Zukunft ist intersektional und auch ich halte Diversität (nicht nur was das Geschlecht angeht) in einer Gesellschaft für unabdingbar wichtig!”
Die Antwort beschreibt recht deutlich, dass der Fehler nicht unbedingt beim Verlag liegt, sondern eher beim deutschen Markt. Es wird immer schwieriger Menschen für Bücher zu interessieren und vielleicht sind das die Versuche an diesen Stellen noch etwas zu reißen. Bei all dem darf man nicht vergessen, dass es mein Empfinden ist, welches jemand anderes in der Buchhandlung schon wieder ganz anders wahrnehmen könnte.
Zur Coverwahl konnte mir Frau Cinque leider keine Auskunft geben.
The Future Is Female ist ein wirklich gutes Buch, das ein wenig unter unnötigen Kinderkrankheiten leidet. Eine zeitgleiche Veröffentlichung auf dem deutschen Markt merkt man dem Buch an einigen Stellen an. So scheinen Cover- und Titelwahl ein wenig unbedacht, und kleine, verzichtbare Rechtschreibfehler verstecken sich auf den Seiten. Jedoch ist The Future Is Female ein Buch, das wir brauchen. Und zwar sehr, sehr, dringend. Es zeigt beeindruckend neutral und persönlich wie sich Feminismus auf unser Leben auswirkt, warum wir vermutlich nie aufhören werden, ihn zu brauchen und dass all das gar nichts mit Männerhass zu tun hat, auch, wenn es immer wieder unterstellt wird. Es zeigt Feminismus in all seinen Facetten, bittet den Leser, einmal hinter die Fassade zu schauen, hinter Hautfarben, Schicksale und Erlebnisse. Einfach über den eigenen Tellerrand – der manchmal erschreckend flach und weiß seien kann. Es ist kein Buch, das man unbedingt in einem durchlesen muss. Es ist ein toller Einstieg für Fachfremde, bietet viel Diversität und ist auch zur Besprechung mit Kinder/Jugendlichen wichtig und elementar. Die Essays sind teils recht kurz und können sich “mal eben so” lesen lassen. Tut euch selbst den Gefallen und lest es. Interessiert euch mehr füreinander, seid respektvoller und rücksichtsvoller. Schaut euren Gegenüber an und lasst uns zusammen eine intersektionale und vielfältige Zukunft aufbauen. Ein erster Schritt ist dieses Buch.
Kaufen könnt ihr das Buch hier.
Danke an Goldmann für das Rezensionsexemplar.
Der englische Titel vom deutschen Buch ist also irreführend. War der Orginaltitel aber auch. Feministen tragen doch pink. Es bleibt die Frage, ob man im Feminismus, was eine Ideologie darstellt, überhaupt ein neutrales Buch schreiben kann und soll. Nur mit extremen Provokationen und Thesen lassen sich erfolgreiche Bücher heutzutage vermarketen und verkaufen. Leider. Grüße aus Tokio!
Thorsten J. Pattberg, Autor der Lehre vom Unterschied