KLARTEXTE: Wie ich versuchte noch mal 15 zu sein und kläglich scheiterte

Normalerweise stehe ich darauf Texte mit einem lauten Knall zu beginnen, diesmal ist das jedoch ein wenig schwierig.

Vom eigenen Versagen zu schreiben ist generell eine etwas höhere Kunst und so richtig glücklich bin ich mit dem, was passiert ist, auch nicht. Selbstzweifel, genervt sein, Druck und Stress. Das sind die Bausteine meiner letzten zwei Wochen.

Hitting puberty .. again

Doch vielleicht sollte ich von vorne anfangen.
Am 1. September habe ich entschlossen für einen Monat noch mal 15 zu sein. Im Zuge eines Artikels wollte ich ausprobieren, was es heißt einen Teenager in der heutigen Zeit zu sein. Das bedeutet Instagram, volle Lotte, durchgehend, Musical.ly, eine App, in der man lipsynced, super angesagt, probiert sie nicht aus, ihr kommt da nie wieder raus. Diese zwei sozialen Netzwerken liefen bei mir 24/7, naja zumindest so lange es meine Internet Zeitschalte zulässt. Von 11 bis 11 kein Internet. Selbstkontrolle oder Freiheit, legt es aus, wie ihr möchtet.

Da ich, danke Mama, danke Papa, nicht grade aussehe wie 21, hatte ich zumindest eine recht gute Ausgangssituation. Noch ein wenig Make-Up drauf, auch wenn das ungewohnt ist, und schön enge Shirts, Snapback, Zopf, was grade cool ist. Ein wenig in die Kamera zwinkern, auf die Lippe beißen, grinsen, Snapchat-Filter – die Hauptbestandteile eines perfekten Instagram- und Musically-Accounts.

Recht schnell merkte ich dann, dass dazu noch noch mal 15 zu seinviel, viel mehr gehört. Liken, immer und überall. Kommentieren, anschauen, konsumieren, informieren und online sein. Durchgehend, nichts verpassen.

Die coolen Kids der heutigen Generation heißen Jacob Sartorius, Lisa und Lena, Lukas Rieger und Johnny Orlando. Das sind natürlich nur ein paar Namen, aber es sind große Namen. Zehn Millionen Follower hier, fünf Millionen Follower da. Fantreffen, „Internet Stars Live“, tausende von Liebesbriefen, Geschenken, Fan-Accounts, die die Tage zählen, bis sie ihren „Schatz“ und ihr „Idol“ wiedersehen. Und ich war einer dieser Konsumenten. Ich hab mir Livelys von Lukas angesehen, Snapchat Storys von Jacob und recht schnell bestimmte Verhaltensformen übernommen. Beim Musikhören stehen meine Hände nicht mehr still, meine Haare berühre ich häufiger als sonst und grinse deutlich öfter in den Spiegel. Das mag lächerlich klingen, aber es ist psychologisch vollkommen normal Verhaltensformen zu übernehmen, die man häufig erlebt. Nicht umsonst übernehmen Kinder oft Verhaltensweisen von Eltern. Medien sind versteckte Erziehungs-Instanzen, natürlich haben sie einen extremen Einfluss auf einen Menschen.

I’m out, Bitches

Was mich am Anfang geschockt hat, wurde schnell zur Routine. Ein „Hey liked mein Bild :P“ wurde direkt umgesetzt und irgendwann fand ich selber „Oaar, ders echt hübsch für sein Alter“ und kam mir dabei unfassbar seltsam vor. Ich achtete plötzlich darauf wie ich auf den Musical.lys aussah, hab auf mein Make-Up geachtet, hab mich in die Sonne gesetzt um brauner zu werden, was mir für gewöhnlich vollkommen wumpe ist. Es hat anfangen an mir zu nagen und mich in sich hereinzuziehen – Stück für Stück.

Ich bin generell ein Mensch der recht schnell begeistert ist und auch schnell den Hang zu extremem Konsum hat. Das Experiment war also gefundenes Fressen für meine Psyche. Doch dass ich das so schnell feststellen musste, hätte ich selber nicht gedacht. Nach zwei Wochen ist nun das eingetreten, womit ich absolut nicht gerechnet hätte. Ich dachte ich hätte es irgendwann super cool gefunden, hätte im Anschluss vielleicht sogar weiter gemacht, doch jetzt sieht es anders aus.

Ich hab die Schnauze voll.
Ich bin gestresst.
Ich bin genervt.
Ich bin unkonzentriert.
Ich bin konsum-blind.Ich mag nicht mehr.
Ich steh nicht mehr still.

Ich schaue ständig auf mein Handy, ich scrolle stundenlang durch irgendwelche belanglosen Feeds. Snapchatstorys mit der Aussage „Mein neues Instagram-Bild ist da, liked es für mich :D“ machen mich nicht mehr so verrückt wie früher. Ich bin toleranter geworden, aber in einer Weise, die mich unglücklich macht. In einer naiven Weise, in einer kindlichen Weise. Ja, ihr merkt vielleicht selber wo das Problem liegt.

Das Experiment hat eine Stelle in mir getroffen, die ich selber nicht mehr als wirklich existent eingeschätzt hätte. Ich hab mich wie 15 gefühlt, ja, habe aber nach wenigen Tagen das Bewusstsein meines 21-jährigen Ichs abgegeben. Ich dachte am Anfang ich steh darüber, mache alles mit einem gewissen Sarkasmus, dem Gefühl des höher gestellt seins, aber nein, meine Hemmschwelle sank immer weiter. Ich fing an stundenlang in Fan-Accounts rumzubummeln und zu konsumieren, so intensiv wie es nur ging. Bis zu dem Punkt, wo ich sogar anfing von Lukas Rieger zu träumen. Und glaubt mir, aufzuwachen von einem Pärchen-Traum mit einem 16-jährigen ist alles andere als cool. Es ist verdammt gruselig, wie sehr es mich eingenommen hat.

Die Jugend macht also genau das, was wir früher gemacht haben – konsumieren. Jedoch viel intensiver, leidenschaftlicher und, ja ich würde soweit gehen, ungesunder.

Die Stars von heute mit Zahnspangenlächeln und iPhone 6S

Es gibt durchaus talentierte Kids da draußen, die vor der Kamera herumhüpfen, sind das aber leider nicht. Sorry Lisa und Lena, sorry Jacob Sartorius. Einzig Lukas Rieger und vielleicht noch Carson Lueders sind ein paar Kids, die noch mal 15 zu seinsingen können, doch Musical.lys steigern nicht ihr Talent, deshalb ist dies eine sehr intensive Bitte an die Kids da draußen: seid kritisch.
Hört auf zu hypen. Ihr dürft leidenschaftlich Dinge gut finden, aber bitte fangt an hinter die Fassade zu sehen. Packt nicht wieder die Oberflächlichkeit aus, die wir in der Gesellschaft seit Jahren versuchen auszutreiben. Ein schöner Typ sollte nicht direkt zu eurem Idol bzw. Traummann werden, nur weil er einfach schön ist. In welcher Zeit leben wir denn? Es macht die Leute nicht zu Übermenschen, nur weil sie schön sind.
Hört auf zu Texten wie „You motherfucked that girl, even tho you told me you loved that girl“ zu tanzen, und fangt an zu verstehen, was ihr blind und ohne es zu hinterfragen konsumiert.

Für die Kids da draußen, die ihr so feiert, ist ein „Liked mein neues Bild! :)“ in der Snapchat-Story reines Marketing. Kein netter Hinweis für euch, nein, es ist Marketing. Mehr Likes = bessere Stats = besserer Standpunkt im Algorithmus = bessere Chancen auf Verträge, Kooperationen, Sponsorings und Verkäufe von Dingen. Er ist nicht „dein Mann“ oder „dein Prinz“, er ist ein Junge, der süß in die Kamera lächelt.
Verliert euch nicht im Konsumieren, sondern findet euch selber im Produzieren und kreativ sein.

Und dies ist eine ganz liebe Bitte an die „Produzenten“ da draußen: hört auf Dinge vorzugaukeln. Die Kids sind eure Fans. Mehr nicht. Ihr seid nicht ihre besten Freunde. Ihr werdet sie nur enttäuschen können, weil ihr ihnen niemals die Aufmerksamkeit geben könnt, die sie gerne hätten. Haltet Distanz, bitte. Hört auf mit Likes, Follows oder DMs zu werben, hört mit dem Umarmungs-Scheiß auf Fantreffen auf und werdet euch bewusst, dass ihr ein Vorbild seid, also verhaltet euch auch so.

Und zuletzt eine liebe Bitte an all die Eltern der „Internetstars“: hört endlich auf eure Kids auszuschlachten. Sie brauchen nicht das neuste iPhone, sie müssen nicht auf Tour mit den „Boy’s of Summer“ (eine Tour, wo Jungs auftreten, die auf Instagram viele Follower haben – don’t ask), sie sind keine Werbeschilder und nicht jedes KIND braucht einen Plattenvertrag.

Ich werde nun einigen Kram löschen, allem voran meinen Instagram und Musical.ly Account. Musical.ly macht mir zwar Spaß und ich werde meinen Creeveey Account behalten, doch dort auch meine Liste ein wenig leeren und es so nutzen wie ich – die 21-jährige Caro – möchte.

Ich hätte euch wirklich gerne einen ausführlichen Artikel mit vielen Followerzahlen, vielleicht sogar Interviews und Co. geschrieben, aber ich kann und mag nicht mehr.

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